Externalisierung – der Motor der Welt

Von Kompensation zur Externalisierung

Eine astrologisch-homöopathische Betrachtung

 Revision: 3.9.2019

Ich bin ein Mensch, für den die äußere Welt
eine innere Wirklichkeit ist. Ich nehme dies
nicht metaphysisch wahr, sondern mit den
Sinnen, mit denen wir die Wirklichkeit für
gewöhnlich in uns in aufnehmen.

(Fernando Pessoa: Das Buch der Unruhe, 476)

 

In der Natur sind Triebe und Instinkte so stark eingebunden in ein umfassendes soziokulturelles Gefüge, daß Freiheit und Individualität nur verhältnismäßig wenig Raum verbleiben. Beim Menschen hingegen ist das Prinzip der Freiheit weitgehend eigenständig, mit anderen Seinsprinzipien, angelegt. Eben dies begründet seine besondere Eigenart, und seine Aufgabe in der Natur. Der Mensch kann die Prinzipien von Freiheit und Individualität stellvertretend für die Natur verwirklicheni, zumindest aber in sich selbst.

 

Die Konsequenz aber dieser Möglichkeit zur Freiheit ist die Möglichkeit, Instinkte, Bestrebungen und Vorstellungen des Subjekts über die Bestimmungen der Welt zu stellen. Eben dies lässt das Böse entstehen, es öffnet die Büchse der Pandoraii. Der Mensch nutzt seine Freiheit zur Überschreitungen von Grenzeniii. Eine Tragödie des Menschseins besteht darin, einerseits eine Bestimmung in individueller Freiheit zu finden, während andererseits die Folgen dieser Freiheit das Dasein in einen mörderischen, grausamen und vernichtenden Ort verwandeln. Dabei ist der Umstand, wo sich dieser vernichtende Ort befindet, nicht unbedeutend. Menschliche Gemeinschaften und Kollektive entwickeln deshalb, um ein möglichst hohes Maß an Sicherheit und Komfort zu erreichen, eine Kultur, deren Aufgabe es ist, die Freiheit des Individuums innerhalb seines Zuständigkeitsbereiches zu begrenzen und kompensatorisches Verhalten zu erzwingen. Kultur ist ein Mittel, die Freiheit des Menschen und damit seine Bestimmung zu verhindern. Sie ist auch Ort, wo Kompensation und Externalisierung beginnen. Es ist die Entdeckung, daß man etwas raus schieben kann, was man nicht bei sich haben will, hin zu anderen.

 

Kultur beeinflusst, wie und auf welche Art der Mensch leben kann. Deshalb hat sie erheblichen Einfluß auf die Gesundheit, in gleichem Maß, wie sie Kompensation und Externalisierung fordert und fördert. Sowohl das Individuum als auch die menschliche Gemeinschaft sind beständig gefordert, das Verhältnis von Freiheit und Kultur neu zu bestimmen. Da beides sich gegenseitig ausschließt, kommt dies dem Anspruch der Quadratur des Kreises gleich. Nicht der Maschine, dem Menschen jedoch kann dies zeitweise gelingeniv.

 

Gesetzt den Fall, einer trägt den Inhalt „freiheitliche Selbständigkeit“ in sich. Nun ließen äußere Umstände, persönliche Beschaffenheit, existentielle Furcht oder Bequemlichkeit eine angemessene Gestaltung dieses Inhalts als Lebenswelt nicht zu. In diesem Fall könnte die Person den Inhalt in entsprechende Objekte externalisieren. Die Person kauft z.B. ein Motorrad, und unternimmt damit Ausflüge. Da ein externalisierter Inhalt immer unvollständig ist (weil er sich gewissermaßen artfremd in in einem anderen Gefüge befindet), muss der Objektbezug, um Bestand zu haben, unbegrenzt wiederholt werden, ohne Erlösung; wie Sisyphosv wird er sich nun immer wieder mit Motorrädern beschäftigen. Da es sich im Hintergrund um einen verdrängten, unerlösten Inhalt handelt, entlastet die Person diese Beschäftigung immer wieder, und sie könnte ihr sogar – im Gegensatz zu den Pflichten des Sisyphos - immer wieder Freudevi machen.

 

Der Zeitgenosse erlebt nun (auch vermittels seiner Mitmenschen) eine Welt, in der es beispielsweise Motorräder gibt, es entsteht eine Industrie, die sich mit Motorrädern beschäftigt, auch Zeitschriften, Zubehör, Vereine, Tourismus, und vieles mehr.

 

Externalisierung ist ein Motor der Welt. Ein Preis dafür ist der Verlust der Erlösung vom Zwang der Wiederholung. Wiederholung wird bei Externalisierung die einzige Möglichkeit, unerfüllte Sehnsucht nach dem Verlorenen zu trösten, wohl kaum wissend, daß im Externen Sehnsucht niemals erfüllt werden kann. So sind in der Wiederholungvii Freude und Vergeblichkeit vereintviii.

 

Das Beispiel des Motorrads ist eines unter zahllosen Möglichkeiten. Die Betrachtung solcher Sachverhalte ließe Folgerungen zu:

 

Welt ist Erscheinung dessen, was Menschen produzieren, um das Wirkliche zu vermeiden.

 

Welt ist die Veräußerung von Inhalten, welche Menschen nicht selbst direkt erfahren wollen.

 

Der Mensch hat keine Macht über die Inhalte, die sein Sein ausmachen, die er ist – er ist ein Aufscheinen in der Zeitlosigkeit. Wie könnte man da wählen wollen, was gefällt, und was nicht … und doch geschieht es.

 

Der Mensch ist ein Wunder. Der freie Wille gibt ihm die Möglichkeit, seine Inhalte zu verschieben zwischen innen und außen. Dies geschieht über einen Gestalt-Mechanismusviiia , und dieser ist nicht kausal. Gerade die Mißachtung und Geringschätzung dieses Mechanismus ist Voraussetzung aller Externalisierungen.

 

Die Welt – und auch der Mensch darin – sind Gefüge.

In Gefügen lassen sich Inhalte zwischen Entitäten verschieben, so, daß die Störungen in einem übergeordneten Kontext zunächst gering erscheinen.

Ein Inhalt kann unzählig viele, seinem Wesen entsprechende Objekte generieren.

Er muß dies auch andauernd tun, wenn er nicht angemessen im Subjekt als Bewußtsein erlebt wird.

 

Dieser Vorgang der kompensatorischen Generierung von Objekten ist in der astrologischen Heilkunst eine Externalisierung.

 

Es gibt keine Externalisierung ohne Kompensation.

Aber es gibt Kompensation ohne Externalisierung.

 

Der zweite Fall könnte bei Erkrankung einer Heilung näher sein. Er erlebt die Folgen der Kompensation in sich. Im Fall der Dekompensation wird er krank, und kann damit eine Anlass zur Revision seines Seins haben.

 

Der erste Fall, die Externalisierung, wird an seinen veräußerten Inhalten nicht krankix. Diese Inhalte stehen ihm nicht mehr zur Verfügung, und die Folgen der Störung im Gefüge durch den fehlenden Inhalt erlebt er, wenn überhaupt, nur kollektiv, als Störung eines größeren Systems. Dies scheint ja der eigentliche Zweck einer Externalisierung zu sein. Man möchte den Inhalt los sein und ihn zugleich habenx. Dies garantiert ihm zwar keinen vollumfänglichen Gesundheitsschutz, aber die Störungen dieses bestimmten Systems sind erst einmal beruhigt. Insgesamt ist das menschliche Sein in einer ständig wechselnden Gleichgewichtsbewegeung, da spielen auch die unvollständigen - weil externalisierten Inhalte - eine Rolle, sie erfordern weitere Anpassungsarbeit. Denn sie fehlen ja im Gefüge des Individuums, so daß dieses die Lücke ausgleichen muß.

 

Kompensation und Externalisierung gehören immer zusammen, man kann sowohl intern kompensieren durch Manipulation von Inhalten, als auch kompensieren durch Externalisierung.

 

Am Anfang aller Kompensationen steht aber deren Abwesenheit. Die Natur beherbergt die Fähigkeit, die Folgen mangelnder äußerer Resonanz durch unterschiedliche Anpassungen abzufedern. Eben diese wieder aufzulösen ist eine der Lebensaufgaben für den Menschen. Findet diese Ausgleichsverhalten aber nicht statt, schlagen die Folgen des Mangels unmittelbar auf das Dasein durch. Es ist eine Art Aufrichtigkeit, vor dem Mangel nicht auszuweichen. Man stellt sich den Folgen dessen, was ist, beziehungsweise, was nicht ist. Dadurch kann es zu erheblichen Krankheitserscheinungen kommen, ein periodisches auf- und abschwellen der Lebenskräfte, was sich in der unkompensierten Behinderung der Entfaltung der Inhalte zu energetischen Stauungen auswächst. Diese Stauungen können sich schließlich nur körperlich entladenxi.

 

Das Wesen der Kompensation scheint einer Art Instinkt zu entspringen, sie kommt in geistiger Ausformung aus einer stammesgeschichtlichen, kollektiv-animalischen Seinsform, die für den Homo sapiens nicht angemessen scheint. Dennoch scheinen alle kollektiven Seinsformen in ihren Instinkten dahin zurück zu fallen. Dies wird ein Aspekt eines (religiösen) Kampfes zwischen Gut und Bösexii.

 

In Hinsicht auf Externalisierung in dem obigen Beispiel des Motorradfahrens könnte man sagen, das Prinzip der Freiheit ist bei den Betreffenden vermindert, es ist gewissermaßen verdinglicht, wie eingefroren im Gerät und in den Ausübungen. Das scheint zunächst harmlos und erheiternd, tatsächlich hat es jedoch erhebliche Auswirkungen auf das ganze Leben – denn vieles, was eine befreiende oder reformierende Veränderung im Leben des Betreffenden erfordern würde, könnte nur erschwert stattfinden. Mit der befriedenden Ausübung von Aktivität, gebunden an Gerät, wird die Unruhe absorbiert. Es fehlt der hinreichende Leidensdruck, der eine Veränderung einleiten ließe.

 

Die Auswirkungen dieser Externalisierung gehen aber weit über das Individuum hinaus. All das, was vermieden wurde wahrzunehmen als Bewußtsein, all jenes, welches das Individuum in seiner Vermeidung von Angst oder Ungemach nicht zugelassen hat, all die ausgefallenen Gegenwärtigkeiten fehlen auch denen, die in Beziehung zu ihm stehen. Es fehlen nun der Umwelt die Umstände, die das Individuum geschaffen hätte, so daß auch die Mitwelt erschwerte Bedingungen als Heimstatt von Wirklichkeit vorfindet. Es entsteht eine nach unten gerichtete Spirale… die am Ende, wenn viele Personen einer Gemeinschaftlichkeit betroffen sind, und wenn die Möglichkeit einer sinnvollen Entwicklung unwahrscheinlich werden würde, nur durch einen Reset der Kultur durch Krieg, Zerstörung und Neubeginn, bereinigt werden könnte.

 

Durch Ansammlung des Fehlenden wächst das Ausmaß an verminderter Gegenwärtigkeit enorm, und es wächst immer weiter. Die negativen Folgen will das Individuum meist kompensieren, weil andere Alternativen ihm zu unkomfortabel, zu riskant erscheinen. Eine der häufigeren Kompensationsformen scheint Aktivität zu sein.

 

In diesem Sinn müsste man ADHS, Freizeittourismus, Putzzwänge, Sport und Krieg zusammen sehen als graduell abgestufte Erscheinungen.
Als externalisierte Formen treten kompensierende Aktivitäten kollektiv auf, in extremer Ausformung als Krieg. Insgesamt neigen diese Aktivitäten zur Zerstörung.
Tourismus beispielsweise zerstört zunehmend das Dasein von Menschen an ihrem Ort. Der Tourist selbst ist ortlos und findet nur durch Fortbewegung einen Daseinszweck. Ohne diese Aktivität öffnet sich die bodenlose Leere seiner Existenz und erfüllt ihn mit Unruhe. Dieser Unruhe sucht er zu entkommen durch kompensatorische Aktivität. Die Ortlosenxiii fallen als Touristen wie Zombies über die Bevölkerungen her, und verwandeln auch diese in Ortlose. Viele Städte werden für die Einheimischen zunehmend unbewohnbar, da ihr Zuhause zum Objekt der Unterhaltung wirdxiv, was auch den Wohnraum für viele unbezahlbar machtxv. Die Einheimischen verwandeln sich so in ebenfalls reisende Ortlose, die sich in ihrer Stadt nur noch erwerbsbedingt zur Ausübung von Aktivitäten aufhalten. Dieses Phänomen betrifft sogar abgelegene Orte, fern aller Zentren. Das globale Ausufern des Zombie-artigen Tourismus könnte als Maß für eine zukünftige notwendige Bereinigung (Läuterung) gesehen werden.

 

Die zerstörerischen Folgen dieser Kompensationen sollen nun ebenfalls wieder kompensiert werden, dies wird dann zu politischer Ökologie und im weitesten Sinn zu Politik. Deren Mittel sind Externalisierungen wie Regelungen und Drogen (inklusive Medikamente und Medien). Ein Circulus vitiosus entsteht, in dem die Differenz zwischen Freiheit und Kultur immer größer wird, da man durch Ausdehnung der Störung eine Depolarisierung zu verschieben sucht. Es sind Kompensationen von Kompensation von Kompensation … Spiegelungen.
Das scheint ein ewiger Kompensationskreislauf, in dem man durch immer stärkere Dosen die Folgen des unangemessenen Seins zu vermeiden sucht. Der entstehende Mangel an Lebendigkeit äußert sich in Spannungen, die auf eine Dekompensation hinsteuern. Eine Ableitung der Spannungen kann den Status stabilisieren – etwa durch Externalisierungen in Form von Krieg mit anderen Ländern beziehungsweise der (auch verdeckten) Unterstützung von Unruhen in anderen Ländern.

 

Letztlich geht es darum, daß andere die Folgen der eigenen Fehler tragen. Eine Läuterung soll vermieden werden, denn sie könnte schmerzhaft sein. Doch ohne Läuterung wird es auch keine Entwicklung geben.

 

Ein großer Mangel stark externalisierter Gesellschaften liegt in ihrer Macht zur Vermeidung von Läuterung. Sei es der Neubeginn nach dem zweiten Weltkrieg oder die Bankenkrise 2008 – die Kompensation der Krisen führt zwangsläufig zur Ausdehnung des unangemessenen Daseins und zur Anhebung des kompensatorischen Verhaltens auf abstraktere Ebenenxvi. In dessen Folge dehnen sich auch die Folgen der Krisen aus.

 

Medikamente, Drogen und Medienxvii sind eine weitere Form der Externalisierung. Aus Sicht der astrologischen Heilkunst wird dort das Fehlende im Dinglichen zum metaphorischen Zeichen. Im Fall der Unruhe wäre es der Frieden, der im Medikament verdinglicht wird. Der Zustand des Friedens ist ein Ausdruck des im Einklang-Seins von Individuum und Welt. Eine Voraussetzung dafür ist für den Menschen Bewußtsein im Selbst und in der (Um-)Welt, genauso wie das aktive Bemühen um deren gerechtes Dasein (als Gegenwärtigkeit). Wo aber das Prinzip des angemessenen Daseins verletzt ist, dort könnten psychische Symptome (wie Unruhe oder Depression) auf einen Wandlungsbedarf hinweisen. Aus astrologischer Sicht wären Psychopharmaka verdinglichte Zeichen für die Verweigerung von Bewußtsein und dessen Konsequenzen für das wirkende Individuum. Ein Auszug aus de.wikipedeia lässt den Eindruck gewinnen, es handle sich hier um Geschehen beträchtlichen Ausmaßes:

de.wikipedia→ADHS:
Im Jahr 2012 wurden 61,03 Mio. definierte Tagesdosen (Defined Daily Dose, DDD) Arzneimittel zur medikamentösen Behandlung von ADHS verordnet – ausgehend von 59,11 Mio. DDD (im Jahr 2011) und 59,35 Mio. DDD (2010). Zum Vergleich: Im Jahr 2012 wurden 1323,86 Mio. DDD Antidepressiva und 82,76 Mio. DDD Psychopharmaka zur Demenzbehandlung verschrieben.[135] ...

Aus astrologischer Sicht wäre jede der 61 Mio. „Defined Daily Dose“ ein Ausfall von Wirklichkeit der Welt.

 

An sich gibt es Warnungen und Korrekturhinweise. Diese äußern sich im Individuum zunächst als unspezifische Unruhe. Unruhe ist ein wichtiger Seinsindikator - als solches oft verkannt, unterschätzt und unterbewertet.

Wir sprechen, wenn wir mit unserem ganzen Wesen sprechen, immer nur aus dem der Unruhe, nicht aus dem anderen, so Roithamer. Immer habe ich nur aus der Unruhe heraus gesprochen, aus dem anderen habe ich nie gesprochen, weil es mich ja in Ruhe läßt und mir dadurch ermöglicht, über das aus der Unruhe zu sprechen.
(Thomas Bernhard: Naturgemäß, S. 49, Frankfurt 2008)

Neben der immer akuten Unruhe ist es im langfristigen, chronischen Lauf die Depression, die ein Indikator für gestörtes Daseins-Gefüge sein kann. In astrologischer Sicht wäre an solchen Indikatoren nichts falsch, ja im Gegenteil, es scheint keinen geeigneteren Wegweiser zu geben, als diese. Sie mit Drogen abzuschalten, sie durch Ausübung von Aktivität zu unterdrücken, oder sie durch andere Kompensationen zu verdrängen, kann aus astrologischer Sicht für das Sein nicht sinnvoll sein.

 

Diese Geschehen sind schicksalshaft. Es gibt für sie aus astrologisch-homöopathischer Sicht weder eine vorgefertigte Lösung, noch Gewissheit, daß es überhaupt eine Lösung gibt. Sie fordern dennoch unbedingt, ohne Rücksicht auf Erfolg, auf, zur Suche nach einer geeigneteren Seinsform, und sie fordern auch die Ablehnung einer ungeeigneten.

 

Hilfen, die nicht kompensieren oder externalisieren, könnten alles sein, was eine gestalthafte Entwicklung fördert. Der astrologische Homöopath würde homöopathische Mittel empfehlen, auch Gespräche und Bewußtheit können hilfreich sein. Die Bedeutung von Leid und Schmerz zu kennen, kann helfen, sie zu ertragen. Ohne beide scheint es keine echte Entwicklung zu geben. Der Beispiele dafür sind Legion. Sie begleiten ein Geschehen der inneren Reinigung, Differenzierung und Klärung, die zu einem inhaltlich fundierten Sein führen will.

 

Der Begriff der Katharsisxviii weist schon in die Richtung des Geschehens der Reinigung der menschlichen Seele. Jedoch scheint diese (die Katharsis) die Funktion einer Kompensation innezuhaben, bezieht sie sich doch auf jenen Zuschauer, der sich jeden Tag sein Kostüm anzieht, und hinein geht in das Theaterstück seines Lebens.

 

Weiter führt da der Begriff Läuterung, die Reinigung der Seele, der, so sie nicht als Ansammlung von zufälligen Inhalten gesehen wird, Gestalt, Ordnung und Bestimmung immanent sind. Eine solche Sichtweise berührt die letzten Dinge, man nähert sich dem Begriff des Purgatoriums, dem zu Grunde liegt, daß es ein schmerzhafter Prozeß ist, die Form der Bestimmung der Seele zu klären. Purgatorium beschreibt einen Zustand der Gestalt, in der sie aus der Endlichkeit wieder eintritt in die Zeitlosigkeit. In dieser Entwicklungsphase fallen alle Kompensationen und Externalisierungen weg. Dieser Verlust und die damit notwendigen Änderungsprozesse werden als schmerzlich und leidvoll bezeichnet.

 

Wenngleich Purgatorium den Übergang in die Zeitlosigkeit beschreibt, so gibt es ähnliche Entwicklungsprozesse innerhalb der Endlichkeit, mit einem weniger absoluten Verlust oder Verzicht auf Kompensationen und Externalisierungen. Dies könnte man als Läuterung bezeichnen. Diese scheint eine Bedingung zu sein für die Wandlung jeder Gestalt in der Endlichkeit.

 

Im Jahre 2019 A.D. sind die Inhalte solcher Begriffe weithin nicht akzeptabel, und und in der Ausübung von Heilkunst könnten sie gar strafbewehrt sein. Sie zielen auf eine Entwicklung der Gestalt, welche in der meist indirekten Inquisition der Gegenwartxix mit der Herrschaft der kausalen Verfahren bekämpft wird.

 

Langfristig scheint dieser Status aber unbedeutend, gründet Entwicklung der Gestalt des Seins doch auf dem Zeitlosen – so hat die Gestalt Zeitxx, Ewigkeit kann lange dauern, deshalb setzt sie sich wohl am Ende durch.

 

Wie wir heute wissen, dehnt sich das Universum aus. Damit wird zum Bild das Lösen letztlich aller Inhalte in der Zeitlosigkeit. Vielleicht ist es nur ein kurzes Aufglimmen, in dem Bewußtheit ein Symptom des Verschwindens ist. Das Ringen um Bewußtsein wäre dann das Ringen um einen gelingenden Dialog Gottes auf seinem Weg in die Auflösung.

 

So sind es dann auch Formen Nicht-materieller Substanz, die den Mangel an Gegenwärtigkeit in einer stark externalisierten Welt kompensieren sollen. In der Externalisierung wird nicht erlebt, sondern das Erleben ist ersetzt durch die Benennungen und das Aufzeigen von Dingen. Das Leben wird dadurch weitgehend zeichenhaft, es spielt sich in der Vorstellung ab, während im realen Leben nichts ist und nichts geschieht, außer den sich wiederholenden Prozeduren des Ausübens des Funktions-Alltags in Ritualen und Mustern. Das Photo vom Urlaubsstrand wird zum Ersatz, etwas zu erleben. Man bucht Vorstellungen von Erlebnissen, und man glaubt, etwas erlebt zu haben, wenn andere glauben, man hätte etwas erlebt. Dieser Ersatz der Wirklichkeit durch eine („shared“) Vorstellungswelt bezieht sich auf alle Bereiche, die menschliches Erleben sein könntenxxi.

 

Tatsächlich ist da draußen aber nicht mehr viel – funktionale Prozesse aller Orten, alles variiert in Form, Funktion und Farbe – das ist es schon.

Wenn diese Lebenswelt bewußt werden würde, wären die natürlichen Reaktionen Depression und/oder Unruhe. Damit würde der Drang wachsen, die Lebenswelt zu verändern.

Dies geschieht jedoch weitgehend nicht.

 

Ursachen für das Ausbleiben an Korrekturversuchen könnten auch im massenhaften Gebrauch von Medikamenten, Drogen und Medien liegen. Wie bei jeder Sucht werden deren Auswirkungen und das Ausmaß der Anwendung nicht bewußt wahrgenommen. In den Medien erscheint die Welt so, wie sie sein sollte, genauer ausgedrückt, sie erscheint so, wie erwartet. Deshalb glaubt der Konsument, die Welt sei so, wie sie sein sollte – das ist ein erheblicher Irrtum, denn real ist sie für niemand so, wie sie anderen erscheint. Die Situation ist in etwa ähnlich wie die Täuschung der kranken Mutter in der Zeit um den Fall der Berliner Mauerxxii. Doch die Masse fährt fort, so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre, solange die Bilder weiter laufen.

 

Man muß wohl annehmen, ein Ausfallxxiii der Medien sowie ein Ausfall an psychoaktiven Chemikalien würde in Hinsicht auf die Realität des Individuums innerhalb kürzester Zeit zu einem ungebremsten Wahrnehmungsschub führen. Die Folge könnten verheerende, dekompensierte Aktivitäten der Bevölkerung sein, die auf eine Läuterung hinauslaufen, und so erhebliche Korrekturvorgänge einleiten würden.

 

Korrekturerscheinungen solcher Art geschehen aber immer nur in Krisen, nicht freiwillig. Zur Conditio humana gehören wohl die Priorisierung von Angst, Genußsucht und Sozialstatus. Dies ließe die Schlußfolgerung zu: die Dinge sind so, wie sie die Lebenswelt des Menschen erschafft. Für den beteiligten Betrachter scheinen deshalb Gefühle wie Mitleid oder Hilfsbereitschaft fehl am Platz. Passender wäre wohl der Begriff der Barmherzigkeit.

 

 

Der Astrologische Gestalt-Mechanismus der Unruhe

Der Mechanismus, der den Menschen dann ungerichtete Energie freisetzen lässt, wenn sein ursprünglicher Lebensimpuls behindert ist, scheint zur Grundstruktur des Seins zu gehörenxxiv. Der Astrologe deutet diese Struktur mit Hilfe des Tierkreises, denn dieser bietet ihm auch eine Methode, menschliche Seinsstruktur sichtbar zu machen. Der Zusammenhang zwischen Ursprungs-Blockade und Unruhe/Aggressivität ist wohl immanent angelegt. Die Grafik zeigt, wie der Lebensgeist in der Existenz blockiert ist, dargestellt in der Senkrechten als Venus(Stier)-Uranus(Wassermann). Die Existenz ist hier mit der unteren Reihe des Tierkreises in den Zeichen Widder bis Zwillinge gekennzeichnet. Die Blockade im Zeichen Stier führt zu Stauungen der angrenzenden Zeichen Widder und Zwillinge (denn der Weg der Wandlungen ist in beide Richtungen behindert), sodaß hier die Charakteristik Mars-Merkur entsteht, Unruhe und Aggression in der Ausübung der Existenz als Erscheinung (denn der Tierkreis selbst ist nicht in der Zeit).

 

Die Dimension und Auswirkungen sind immer angemessen der Dichtigkeit der Blockade. (Auch die Seitenbeziehungen werden aktiviert, als Mars-Venus und Merkur-Venus, was die Vorgänge weiter spezifiziert). Schon im Vorgang der Entzündung wird mit der Zerstörung versucht, die Blockade zu durchbrechen – mitunter sind die Schäden im organischen Gewebe erheblich. Offenbar scheint aber das Durchbrechen der Blockade, ein freier Zugang zum Lebensgeist unbedingten Vorrang vor körperlicher Vollständigkeit zu haben.

 

Haben wir es bei dem Vorgang der Entzündung noch mit Ausgleichsbewegungen des Individuums - meist infolge von Kompensationen - zu tun, so entstehen bei zusätzlichen Externalisierungen kollektive Dimensionen, die im extremen Fall Staatsgebilde betreffen. Dann geschieht das, was man als „Zusammenbruch von Systemen“ bezeichnen kann (im Zeichen Venus-Uranus, Münchner Rhythmenlehre). Dies geht, wie man neben der Erfahrung auch aus dem Vorhergehenden schließen kann, regelmäßig mit der Ausübung von Feindseligkeiten, Gewalt oder Aggression (Merkur-Mars) einher.

 

Im Falle eines Systemzusammenbruchs implodiert das System im Bewußtsein der Menschenxxv, dies geht einher mit Bestrebungen, die verdinglichten externen Objekte aufzuheben, zusammen mit den Kompensationsformen Regelung und Arzneimittel.

 

Dieser Gewalt-Mechanismus bezieht sich auf das Aufbrechen der Form der Erscheinung. Im Zugrunde liegt immer die Störung eines Prinzips im Zeitlosen, es ist die Störung der ursprünglichen Form, welche die wesentliche Eigenart nicht mehr als Gemeinschaftliches im Gemeinschaftlichen repräsentieren kann.

 

So hat das astrologische Bild der Unruhe eine Rückseite (Rückseitendeutung, Münchner Rhythmenlehre), dieses Bild zeigt den Weg der Ursachen, es ist der obere „Weg der Aphrodite“ (MRL), der im vierten Quadranten die Prinzipien des Zeitlosen darstellt.

 

Die Ursprungsblockade

Die Behinderung des ursprünglichen Lebensimpuls in der geformten Ordnung der Existenz findet immer dann statt, wenn der Mensch seinen Willen und seine Vorstellungen durchsetzt. Es kommt zur Stauung im Prinzip des Ursprungs (Uranus), dieser kann sich nicht angemessen gestalten in eine Ordnung des Daseins. (Venus-Uranus-Blockade). Diese Stauung betrifft nun die angrenzenden Prinzipien, also Saturn und Neptun, so daß eine Saturn-Neptun Symptomatik entsteht. Aber auch die direkten Beziehungen sind betroffen, also Uranus-Neptun und Saturn-Uranus, was das Bild weiter spezifiziert.

Saturn-Neptun affiziert die innere Beschaffenheit der realen Daseinsformen, so, daß Merkur-Mars Angriffspunkte zum Aufbrechen der Form findet (s.o.).

Unter Saturn-Neptun werden die Daseinsformen seelenlos, wie ausgehöhlt, hohl, es ist nichts Lebendiges in ihnen, sie dienen zur reinen Ausübung von Funktion und Tätigkeit. Parallel zur Seelenlosigkeit des Daseins wächst der Bedarf an psychoaktiven Substanzen wie Speed zur Kompensation des ausgefallenen Lebensgeistes, Antidepressiva gegen die Traurigkeit und Sinnlosigkeit und natürlich Mittel gegen die Unruhe.

 

In Hinsicht auf Externalisierungen kann man wohl feststellen: sie sind, wie alles, was nicht schöpferisch ist, seelenlos.

 

©Daniel Menz 2019

 

Anmerkungen

i Die Freiheit des Menschen als Alleinstellungsmerkmal in der Natur begründet auch seine Bemühungen um generalisierte Seinsrechte wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte oder die Sustainable Development Agenda der UN. Das geringere Maß an Bemühungen um Tiere zeigt allerdings den stark anthropozentrisch utilitaristischen Grundton dieser Bestrebungen. Ob es aber Sinn macht, mit Regelungen den Inhalt der „Büchse der Pandora“ zu kontrollieren, ist mehr als fraglich. Denn das Problem ist nicht der Inhalt der Büchse, sondern das Öffnen.

 

ii Büchse der Pandora. Deren Öffnung ein Akt der Freiheit. Vor der Öffnung kannten die Menschen keine Übel, Mühen oder Krankheiten und auch den Tod nicht. (https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCchse_der_Pandora )

 

iii Die Überschreitung der Grenzen – hier ist die Nichtannahme der Bestimmung gemeint, Bild im biblischen Sündenfall wie auch im Öffnen der Büchse der Pandora. Es ist die Geburt des (modernen) Menschen, der den Archetyp der Überschreitung wieder und wieder wiederholt. Damit sucht er die biblische Vertreibung aus dem Paradies zu wiederholen, mit Aufgabe der Grenzen setzt er seinen Frieden aufs Spiel. (Frieden etymologisch: der begrenzte Raum, innerhalb dessen man Wohlwollen und Gnade gegen den Mitmenschen walten lassen kann.)

 

iv S. Freud soll die Möglichkeit des Gelingens des menschlichen Seins in der Kultur eher skeptisch gesehen haben. Dazu eine Zusammenfassung von Gunnar Kaiser: „Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur“ → https://www.youtube.com/watch?v=BREiWuBj5lw

 

v  Nicolai Sarafov: Sisyphos - „Sisyphos – sei sein Stein Sein?“ → http://bago.net/buecher-und-publikationen/sisyphos-sei-sein-stein-sein/

 

vi Die zwanghaften Wiederholungen des Alltags aber auch die Suche nach Erlösung wurden als Film in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ dargestellt. Die angebotene Lösung (das happy ending) ist allerdings eine Fiktion, welche die Moral der aktiven, kompensatorischen Zeitgenossen aufrecht erhalten soll, damit sie in ihren Wiederholungen fortfahren. Es ist ja gerade diese immanente Hoffnung (die nie erfüllt werden kann), die Lösung doch irgendwann innerhalb der Wiederholung zu finden, um so die Vorgänge weiterlaufen zu lassen. Die verletzte Wirklichkeit ist verletzt, dies kann man nicht ändern, und nur diese Anerkennung kann etwas neues beginnen lassen. → https://de.wikipedia.org/wiki/Und_t%C3%A4glich_gr%C3%BC%C3%9Ft_das_Murmeltier

 

vii Wiederholung – die bildwerdende Vermeidung der Angst vor der Erfahrung der Endlichkeit. Diese wird umso unerträglicher, je weniger das Leben von Gegenwart erfüllt ist, wohl wissend, daß man im Fall eines Wiederholungsstopp unerbittlich ohne Korrekturmöglichkeit in die bodenlosen Nichtigkeit seines Seins fällt. In diesem Kontext auch Standardisierung - man sehe sich um im Jahre 2019 A.D.: man findet kaum Formen, die nicht Wiederholungsmuster sind.

 

viii Die süße, vergebliche Lust an der Wiederholung: "Play it, Sam. Play »As Time Goes By.«" im Film Casablanca.

 

viiia Gestalt-Mechanismus: Obwohl oder gerade weil er überall und offensichtlich die übergeordnete Ordnungssphäre bildet, wird er kaum erkannt und gewürdigt. Man nimmt das, was beständig und überall ist, als selbstverständlich und nichtig hin. Was ist es denn, was da gleich bleibt, unter wechselnden Formen und Bedingungen? So der Mensch, in der Entwicklung vom Säugling zum Greis, ob im Krieg, im Urlaub, in Bergamannsmontur... er bleibt immer der selbe. Es ist Gestalt, die das Wachstum bestimmt.
Eine wissenschaftlich-philosophische, sehr abstrakte und ausführliche Betrachtung von Gestalt und Ganzheit, von  Überzeitlichkeit und Sein in der Ontologie bei H.-E. Hengstenberg: Freiheit und Seinsordnung; S. 139; 2.Aufl., Dettelbach 1998  

 

ix Der Externalisierende besucht sein Leben wie ein Theaterabonnement:
„Sie werden uralt werden, hat er einmal gesagt, diese Menschen werden uralt, ihr Stumpfsinn legt sich wie ein schützender Panzer mit den Jahrzehnten um sie, sie fallen nicht plötzlich um wie Unseresgleichen.“
→Thomas Bernhard in: https://mobile.twitter.com/dailybernhard/status/1152134740109082626?p=p

 

x Den Inhalt los sein, und ihn zugleich haben. Ein englisches Sprichwort sagt: You can‘t have your cake and eat it.

 

xi Erkrankung im Fall von Nicht-Kompensation. Für die astrologische Homöopathie wäre dies gewissermaßen ein per se positives Geschehen, da hier eine Rückführung auf die Person selbst nicht notwendig scheint. Der Homöopath J. Lucas sagt in Selected Writings → China: "The physical discharging state can become internalised (Hervorhebung durch den Verfasser) into rheumatica, gout, gangrene, liver complaints such as gall stones, lungs also become a target with suffocative catarrh, asthma and haemorrhage from the lungs. A turbulent journey indeed."
Lucas verwendet den Begriff Internalisierung. Dies macht nur Sinn im Kontext von Externalisierung. Und eben diese kann und will dem Mittelbild China nicht gelingen, so daß es gezwungen ist, ohne Möglichkeit der adäquaten Daseinsgestaltung, es immer wieder zu versuchen und die aufgestaute Energie dort zu entsorgen, wo es noch Zuständigkeit hat: im Inneren. Es kommt aber nur deshalb zu diesen Stauungen, weil China nicht kompensiert, weil es die Energie nicht umleitet. China bleibt, indem es keinen Kompromiss eingeht, nah an einer echten Lösung, mit dem Risiko, zu scheitern. Lucas erkennt aber nicht, daß China keine hinreichende Resonanz finden kann in einer Welt, die von Kompensationen und Externalisierungen beherrscht wird. Mag sein, daß Lucas selbst diese Welt mit erschafft, sonst würde er für China nicht den Begriff Internalisierung verwenden, sondern er würde den behinderten Daseinsausdruck (Mangel) benennen. Dieses „Dranbleiben“, ohne Kompensation, macht auch Sinn, verschöbe eine Kompensation eine Lösung doch in weitere Ferne. („Nichts ist so beständig wie ein Provisorium“).

 

xii Die Herrschaft des kollektiven Instinkts in modernen Zivilisationen wird im Film (und Theaterstück, von Tobias Lindholm): „Die Kommune“ (→ https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Kommune ) dargestellt. Es ist dies der Kampf einerseits um das unbewußte Ausleben von Instinkten, und andererseits um den Anteil an Wirklichkeit in den begegnenden Personen. Diesen Kampf um aufrichtiges Bewußtsein verliert die Gruppe, und die Instinkte übernehmen die Herrschaft. Die Gruppe fühlt sich dabei erhaben und bemitleidet sich in ihrer Emotionalität. Nur das tote Kind kann noch als letztes, ungesehenes Zeichen, durch seinen Tod die Wahrheit künden. Die weibliche Hauptdarstellerin wird geopfert und ausgestoßen. Sie hatte sich als solches angeboten, um den Gruppenmitgliedern die Möglichkeit zum Rückfall in die Instinkte zu geben; sie ist die einzige, die als Opfer den schmerzlichen Schritt ins Bewußtsein geht. Die Kommune, die ursprünglich ein Gefüge war, wandelt sich in ein Kollektiv. So übernehmen auch die animalisch tribalen Instinkte unerkannt die Herrschaft: Unterwerfung des Individuums unter ein Leittier, Königskonkurrenz mit Vertreibung , und die „Furcht der Lämmer“ eigenständig zu denken. All dies wird mit traumatisierender Automatik vollzogen, so wie ein Blutopfer in einem Teufelsritual. Letztlich ist aber der Ausgestoßene der einzige, der einen Schritt weiter geht im Bewußtsein. Die Kommune fällt zurück ins Kollektiv.
Auch hier wieder braucht es Kompensationen der Mitglieder: Betäubung der Wahrnehmung und Austausch von Beziehungen.
Die Entwicklungsgestalt des Menschen ist Vereinzelung, Individualisierung, so wie es die Religion der Fische-Phase sagte: Gott ruft einen jeden ins Dasein.

 

xiii Ortlosigkeit → astrologisch gedeutet u.a. in: Wolfgang Döbereiner: Die Wege des Ortlosen. Seminare, Band 6

 

xiv Ortlosigkeit und Medien. „Früher war man hier mutterseelenallein»: Wie Social Media den Tourismus verändert“
( →https://www.nzz.ch/amp/schweiz/wie-schweizer-bergorte-zu-instagram-hotspots-werden-ld.1499230 )

 

xv Unbezahlbarer Wohnraum (A.D. 2019): Zum einen werden Wohnungen in den Innenstädten für Touristen freigehalten, die sich über Onlineplattformen temporär einmieten. Zum anderen sucht das ortlos vagabundierende Kapital (wegen Null-Zins-Politik) einen sicheren Hafen, und in diesem Bestreben werden Wohnräume umgewandelt in Parkplätze für ortloses Kapital.

 

xvi Die Ausdehnung der Kompensationen durch die Vermeidung von Läuterung. Es scheint eine klare Entwicklungslinie in der Anzahl an Verletzten als Folge von kriegerischen Auseinandersetzungen. Waren im frühen Mittelalter noch ein paar handvoll Ritter betroffen, so waren es im 20. Jahrhundert Millionen Menschen. Da Läuterung öffentlich kaum durchsetzbar war, weder in Monarchien noch in Demokratien, darf gefragt werden: wie viele Tote wird es im 21. Jahrhundert geben?

 

xvii Verdinglichung und Medien: Medien werden hier im Kontext der Externalisierung als Verdinglichung bezeichnet. Dies bezieht sich auf ihre Inhalte, soweit sie in der Darstellung von Funktionalitäten der Erscheinung bestehen. Letztlich sind in der Wahrnehmung Zeichen und Objekte immer Abbild.
Im Bewußtsein hingegen ist ein Eins-Sein, und das Sein ist wirklich.

 

xviii Katharsis: Durch das Durchleben von Jammer/Rührung und Schrecken/Schauder (von griechisch éleos und phóbos, von Lessing auch mit Mitleid und Furcht übersetzt) erfährt der Zuschauer der Tragödie als deren Wirkung eine Läuterung seiner Seele von diesen Erregungszuständen.(https://de.wikipedia.org/wiki/Katharsis_(Literatur)
Um das ungemäße Dasein fortzusetzen, um Dekompensationszuständen zu entgehen, benötigt das Dasein die energetische Entlastung von aufgestautem, verhindertem Leben. Diese Funktion übernimmt hier das Theater.

 

xix Inquisition der Gegenwart: Wolfgang Döbereiner: Die Weigerung des Christophorus.
( https://www.doebereiner.com/buecher/buchtexte/die-weigerung-des-christophorus-seminare-band-4/ ) :
>>Muster der Inquisition
Die Identität zwischen Staat und Denkhaltung. Die Denkhaltung hat den Staat in seiner Strukturierung bestimmt, insofern hat die Denkhaltung Macht über den Staat. Die Identität ist nahtlos, daher unauffällig, anonym.
Die Denkhaltung ist nicht „weltlich“ (politisch tätig) und überläßt die Exekutive dem Staat.
Die Denkhaltung stützt sich auf Formeln der Macht (Glaubenssätze – Wissenschaftsdoktrin) und urteilt. Sie ist an allen Schaltstellen der Macht präsent und sorgt für die Verbreitung und Einhaltung der Urteile.
Die Ausschaltung anders Denkender ist durch die Identität von Staat und Denkhaltung legitimiert.
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xx Die Zeit der Gestalt: durch ihre Begründung im Zeitlosen hat die Gestalt unbegrenzt viel Zeit. Genau diese haben kausale Vorgänge nicht. Sie können nur durch Wiederholung überdauern, und nur ein Moment der Konfusion kann sie zum Verschwinden bringen. Darauf basiert das chinesische Sprichwort: Wenn du lange genug am Fluß sitzt, siehst du irgendwann die Leiche deines Feindes vorbeischwimmen. ( →https://www.aphorismen.de/zitat/13200 )

 

xxi Sharing nund Posting: man könnte sagen: wer sein Leben postet, der hat lebt nicht. Im Bereich der Kunst nannte man die Ergebnisse einer solchen Haltung einmal „Kitsch“. Genauso, wie der Kleinbürger sich mit Vorstellungen anstelle von echtem Leben begnügen musste. Das hat sich auch in einer materiell reichen Bevölkerung nicht verändert. Mit der Vorstellung einer „guten Tomate“ lässt sich mehr Gewinn erzielen als mit einer wirklich „guten Tomate“. Der Masse reicht es vollkommen, wenn ein Bild von Tomate in ihrer Vorstellung aufscheint; der Mangel an Geruch, Geschmack und Aura, insgesamt der Mangel an Wirklichkeit, kümmert sie nicht. Deshalb werden sie mit dem Anschein abgespeist, und sie erschaffen durch ihre Ignoranz eine Welt des Anscheins.

 

xxii Täuschung der Realitätswahrnehmung durch Medien wie im Film „Good Bye, Lenin!“ von Wolfgang Becker, 2003. ( Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=mIjSaHUKD5I )

 

xxiii Ausfall der Kompensationsmittel. In westlichen Zivilisationen gibt es kaum einen, der keine Pillen schluckt. Dabei wird die bewusstseinsverändernde Qualität der meisten Medikamente sogar bestritten oder ignoriert (weil quantitativ nicht messbar). Man hält die Einnahme von Medikamenten aber für alternativlos – es sind Tonnen an Chemikalien jedes Jahr, die konsumiert und verordnet werden. Wie der brave Soldat vor der Schlacht werden die stabilisierenden Chemikalien geschluckt, anstatt die Schlacht zu verlassen. Es ist aber auch klar, warum das so ist: denn im Suchen einer Alternative ginge die eigentliche Geschichte erst los. Dafür bräuchte es aber Rückgrat und Mut.

 

xxiv Unruhe und Kompensation als Grundstruktur des menschlichen Seins. Siehe auch Adornos "Studien zum autoritären Charakter" - Der Mensch als Anhängsel der Maschine → in (Adornos "Autoritärer Charakter": Aktueller denn je? (Gespräch) 15:55 04.08.2019 Autor: Ziege, Eva-Maria; Sendung: Sein und StreitHören bis: 19.01.2038 http://podcast-mp3.dradio.de/podcast/2019/08/04/adornos_autoritaerer_charakter_aktueller_denn_je_drk_20190804_1316_97eb675a.mp3 ), was schon auf S. Freud „Unbehagen in der Kultur“ zurückgehen soll, als Preis der Kultur.

 

xxv Über die Implosion von Staatsgebilden im Menschen: Alexander Kluge: Chronik der Gefühle. 2. Verfallserscheinungen der Macht → https://www.br.de/mediathek/podcast/chronik-der-gefuehle-14-hoerspiele/chronik-der-gefuehle-2-14-verfallserscheinungen-der-macht/1507141