Verborgene Ströme aufdecken – der Jahrhundertspion Alfred Redl

 

Da auch sah ich sieben Sterne des Himmels darin zusammen-
gebunden, gleich großen Bergen und gleich einem glänzenden
Feuer. Ich rief aus: Wegen welcher Art von Verbrechen sind sie
gebunden und warum sind sie entfernt worden an diesen Platz?
Darauf antwortete Uriel, einer von den heiligen Engeln, welcher
bei mir war, und welcher mich führte: Henoch, warum fragst du,
warum forschest du bei dir und suchst ängstlich? Dies sind die von
den Sternen, welche den Befehl des höchsten Gottes übertreten
haben und hier gebunden sind, bis die unendliche Anzahl der Tage
ihrer Strafe vollendet ist.1

 

[Das Buch Henoch, 3. Jh. v. Chr.]

 

 

Einer, der berufsmäßig Verborgenes aufdeckte, war Oberst Alfred Redl. Er war zuletzt stellvertretender Leiter im Geheimdienst der österreich-ungarischen Armee.

 

Redl verkaufte als Spion während vieler Jahre hemmungslos militärische Informationen an Italien, Frankreich und Russland. Als dies bekannt wurde war man fassungslos über das Ausmaß des Verrats. Man spekulierte über die Motive seines Handelns, die jedoch weitgehend im Dunkel bleiben mussten.

 

Offenbar erschlossen sich Redl selbst nicht die Gründe seines Daseins – es endete in einer letzten Katastrophe – er beging Suizid nach Bekanntwerden seiner Spionagetätigkeit.

 

Redl verriet sogar die Agenten, die er selbst gefördert und „installiert“ hatte. Warum überhaupt geht einer zum Geheimdienst? Der Dreh- und Angelpunkt seines Dramas waren die homosexuellen Beziehungen zu jungen Männern, die weitgehend auf Machtausübung und Manipulation beruhten. Er führte Beziehungen, die nicht auf Liebe und Freiheit gründeten, sondern auf Abhängigkeiten, Vorteilsdenken und Unterwerfung. Er erkaufte und erzwang die Liebe. Dafür benötigte er beständig mehr Geld, als er offiziell verdienen konnte. Vordergründig kann man feststellen: die hohen Kosten seiner Beziehungen waren eine Ursache für seine Spionagetätigkeit.

 

Warum führt er diese zwanghaften Beziehungen? Gibt es kein Gewissen und keine Selbstachtung, die solche Beziehungen als unwürdig bewerten und beenden wollen? Wie kann er so skrupellos und gewissenlos sein, daß er sein Land und seine Leute verrät? Wie steht er das tagtäglich durch – als Verräter unter Kollegen zu leben – das ist schizophren. Und – immer zu wissen, daß man in Wirklichkeit ungeliebt ist, daß nur der Zwang und die finanziellen Zuwendungen menschliche Nähe aufrechterhalten.

 

So wie in vielen Leben, es vollzieht sich das Leben Redls allegorisch und zeichenhaft. Vieles von dem dem, was und wie er lebt, soll auf etwas anderes Hinweisen, ohne daß das Eigentliche jemals bewußt werden soll. Da er es nie aufdeckt, muß er es unaufhörlich wiederholen, denn die Zeichen selbst sind impotent und finden keine Erlösung.

 

Er hat wohl schon früh geahnt, daß „Verbergen“ und „Aufdecken“ für ihn wesentlich sein könnten – in einer Tätigkeit im Geheimdienst kann er das beständig ausüben; beständig deshalb, weil er nie sein Wesen berührt. So bleibt durch sein Handeln die andauernde Erinnerung an etwas anderes energiegeladen.

 

Redl hielt seine Identität aus dem Leben heraus. Er trennt das Bewußtsein im Inneren ab, so daß keine gewachsene Erlebniswelt entstehen konnte. Tief verankert war eine Angst - ein Vor-Wissen um eine lebensbedrohliche Welt, der man auf keinen Fall (mehr) als wachsendes und erlebendes Subjekt unterworfen sein will. So bestand eine seiner Hauptbeschäftigungen innerhalb seiner seelischen Ordnung darin, ursprüngliches Erleben einzufrieren, um sich überpersönlich und unverbindlich in der äußeren Welt darzustellen.
Nun tritt dann einen Mann in Erscheinung mit glatter Oberfläche, emotionsfrei und ohne Kanten, überpersönlich unverbindlich, der hinter den Vordergründen Bedrohungen wittert.

 

Das Maß der inneren, seelischen Abspaltung wird bestimmt durch die Größe der vorgegebenen Bedrohungsangst - in Verbund mit einer Schrecklähmung. Dies muß Panik bewirken und liefert Spaltungsenergie. Als Vorwissen und Ausgangspunkt fordern solche Anlagen eine Lösung im Leben. Eine naheliegender Schutz des Ego wäre der, den Oberst Redl gewählt hatte: die Spaltung der Persönlichkeit.

 

Hier erklärt sich auch seine Illoyalität, sein Verrat: wer in einer Welt lebt, an der er emotional und sinngebend nicht beteiligt ist, der fühlt sich ihr auch nicht verpflichtet. Die Welt ist für ihn „devils workshop“, in der es gilt, möglichst geschickt seine Interessen zu vertreten.

 

Nun bemerkt man schon das Dilemma.
Was sind „die eigenen Interessen“?, wenn man nicht sinnbildend an der Welt beteiligt ist. Es bleiben dann nur Zwecke. Überhaupt – ist der innere Ursprung abgespalten, muss das Dasein durch die Vorstellung garantiert werden. Das, was seinem Wesen nach menschliches Sein in einer passend gefügten Umwelt sein sollte, wird damit zeichenhaft und allegorisch zur Ausübung von Existenz. Im Auftrag des Subjekts wird dies zum Zwang und zur Manipulation der Umwelt.

 

Diese Notwendigkeit zum Zwang war bei Redl ausgeprägt – sie äußerte sich in seinen Beziehungen und Verhältnissen, die sein „menschlicher“ Zugang zur Welt waren. Da die Zwanghaftigkeit der Kompensation seiner fehlenden Seele diente, war sie „teuer“ und als solche auch – wie jede Kompensation - grenzenlos.

 

So gelangen wir über das Leben des Oberst Redl zu philosophischen Betrachtungen. Die gebundenen Sterne aus dem oben voranstehenden Zitat sind Symbole für sieben menschliche Elementarkräfte, die in ihrem jeweiligen besonderen Sosein die Individualität des Menschen ausmachen. Das Zitat legt nahe, daß diese Grundkräfte einer höheren Macht angehören sollten, nicht dem Willen des Subjekts unterworfen. Vor 2 ½ Tausend Jahren war wohl dieser letztere „Fall“ schon eingetreten, und man erwartet ein Besserung erst wieder in einer „unendlichen Anzahl“ an Tagen.
An die Grundkräfte sind nun menschliche (Vor-)Erfahrungen gebunden, die in tausenderlei Form und in unendlicher Wiederholung als Zeit Erscheinung sein müssen.
Nun an menschliche Zwecke gebunden, wird die Welt zur Werkhalle und Leinwand jeweilig dominanter Neurosen, zum virtuellen Workshop der also-ob Manifestationen, mit notwendigen kompensatorischen Vernichtungsgeschehen und Gewaltphantasien.

 

Wie zu erwarten nähren sich solche Betrachtungen aus dem astrologischen Zeitbild Oberst Redls.

 

 Zunächst betrachten wir die „gebundenen“ Gestirne Sonne-Uranus-Neptun - verbunden als Symbol-Komplex. Gemäß der Münchner Rhythmenlehre2 wären dies die oben erwähnten Erfahrungen der Bedrohung des Lebens (Sonne-Uranus) mit Identitätsangst (Sonne-Neptun) sowie einer Schrecklähmung auch im Sinne der Wahrnehmung. Diese (Vor-)Erfahrungen scheinen ungeeignet für eine Alltagsbewältigung, sie könnten geneigt machen, sich eines unbeherrschbaren Panikgefühls zu entziehen durch Abspaltung der Seele aus der Welt. Hier sehen wir den Ursprung der emotionalen Unberührtheit und Glätte, auch das Interesse für ein Spiel mit wechselnden Identitäten und Inszenierungen von Erlebniswelten, genauso wie die Lust, andere, gleichgeschlechtliche Partner zu beherrschen (Sonne-Neptun).
All dies sind Allegorien auf eine eigene Persönlichkeit, die nie offen in die Welt trat.

 

Als Kompensationselement für den fehlenden Ausdruck seiner Seele hatten wir das Vorstellungsvermögen benannt, damit auch sein Macht- und Übergriffsverhalten. Seine Beziehung zur Welt geschah über seine zwischenmenschlichen Beziehungen, die zwanghaft und manipulativ waren. Astrologisch betrachten wir hier den Symbol-Komplex Venus-Pluto, gewissermaßen Redls angelegtes Kompensationsvermögen.

 

Astrologisch könnte man unterscheiden zwischen „originärer“ Homosexualität – das wäre bei Männern Venus-Uranus, also die altgriechische Form der Männerliebe, Erotik in ungebundenem Spiel – und, so wie es sich bei Redl zeigte – eine Homosexualität, bei der die Beziehung andere Inhalte, als die der Beziehung selbst, zum Ziel hat. Hier ist die Homosexualität ein Mittel, um Gefühle von Macht und Unterwerfung, auf geschlechtlicher Grundlage, immer wieder zu aktualisieren.

 

Redl lebte diese Beziehungen manipulativ. In Verbindung mit einer empfindungslosen Seele möchte man sich Details nicht ausmalen. Dies betrifft auch seine Tätigkeit als Geheimdienstoffizier, über die hier nichts bekannt ist. Das Zeitbild jedoch lässt erahnen: Empathie und Mitgefühl standen bei seiner Tätigkeit wohl nicht im Vordergrund.

 

Es zeigt sich hier eine gnadenlose, unausweichliche innere Logik im Dasein. In dieser Dynamik wird der manipulative Druck auf seine Umwelt immer weiter erhöht, je weiter sich die Seele entfernt. Es ist das Prinzip: Wenn die Sache schlecht läuft, dann braucht man mehr vom (falschen) Konzept. Das scheint soweit eskalieren zu können, bis für die Seele eine sinnvolle Gestaltung in der Zeit nicht mehr erwartbar ist – dies ist die Aufhebung der Bindung als Raum.

 

Die Betrachtung verborgener Ströme im Wesen des Menschen lassen den Schluß zu: allgemeine, universelle Ideale wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind der Sinnfindung des Individuums kaum zuträglich. Es ist schon eher so, daß der Mensch ein Strauß an (Vor-)Erfahrungen ist, die im Erleben erlöst werden wollen. Wie weit dies gelingen kann, dabei scheinen neben der Größe der Aufgabe, sowie der Art ihrer Einbindung in ihre Gegenwart, auch menschliche Tugenden eine Rolle zu spielen. Menschen sind zu verschieden, um allen die gleichen Tugenden zu „verordnen“. Am ehesten wären hier die klassischen Kardinaltugenden zu benennen, so wie von Aischylos 467 v. Ch. benannt: besonnen, gerecht, tapfer und fromm3. Wobei „fromm“ erläutert werden sollte: es bezeichnet eine Beziehung zu den Göttern, was man heute als aufrichtig und bescheiden bezeichnen könnte.

 

© Daniel Menz

 

 

------- Quellen:

 

1Die Apokalyptiker der älteren Zeit unter Juden und Christen ; Band 1; Das Buch Henoch, Kap. 21; Jena in der Croeker'schen Buchhandlung 1833

2Wolfgang Döbereiner: Astrologisch-homöopathische Erfahrungsbilder zur Diagnose und Therapie von Erkrankungen , Band 1; 8. Auflage; Herrsching 2002

3Kardinaltugend; https://de.wikipedia.org/wiki/Kardinaltugenden; aufgerufen am 3.9.2017