„the spirit to move it, the spirit behind it, never to appear“ – die letzten Tage des Thomas Wolfe

Das ist es Suchender:

jedwedem seine Chance, für jeden,
ohne Ansehen der Geburt,
die lockend-goldene Möglichkeit,
für jeden Menschen das Recht, zu leben,
zu sich selbst zu kommen und das zu werden,
wozu sich Menschlichkeit und eigene Schau
bei ihm verbinden – das verheißt Amerika.

[Thomas Wolfe in „Es führt kein Weg zurück“]

 

Wenn einer früh stirbt, dann fragt man sich, „Warum?, warum so früh?“ Sicher, er war erkrankt ... (Es war eine akute tuberkulöse Meningitis). Aber hätte man das nicht früher erkennen können? Als Wolfe starb – am 15 September 1938 – war er in den USA und auch in Europa so berühmt wie Faulkner und Hemingway. Das Wort „Pech“ oder der Begriff „unglückliche Umstände“ lassen einen hier genauso unzufrieden zurück wie bei einem guten Freund.

Es muß eine Geschichte dazu geben, ein persönliches Schicksal, dringliche Themen, mit denen er sich am Ende beschäftigte. Glücklicherweise ist bei Wolfe eines gegeben, was nicht selbstverständlich ist: er teilte sich schreibend mit. Hier sehen wir eine Chance, etwas von dem erahnen zu können, was ihn in der letzten Zeit beschäftigte. Welchen Kampf verlor er schließlich, und – konnte er ihn vielleicht gar nicht gewinnen?, war die Aufgabe zu groß?, oder zu schwierig?

 

Sicherlich müssen für jeden andere Maßstäbe gelten. Das ist nichts allgemeines. Man wird an dem gemessen, wer man ist. Wolfe wuchs auf als Knabe zusammen mit seiner Mutter, getrennt von der restlichen Familie. Es ist anzunehmen, daß er eine speziell enge Bindung an seine Mutter hatte, und sie wohl umgekehrt sah sich in ihm. Sie wohnten zusammen in dem Gästehaus, das sie betrieb. Wahrscheinlich hatte er von ihr die Anlage zur Tuberkulose geerbt. Wir wollen das später noch astrologisch betrachten, hier aber versteckt sich uns hinter diesem pathologischen Begriff der Sachverhalt, daß die Mutter Probleme nicht löste, sondern sie abkapselte. Es gab wohl eine Unvereinbarkeiten mit ihrem Ehemann, sie ließ sich jedoch nicht scheiden, sondern zog mit einem Sohn etwas weiter in ein eigenes Haus.

 

Diese ererbte Technik des Abkapselns von Problemen – die auch Elemente der Kultur einer Zeit in sich trägt - zusammen mit mit einer Bindung an die Aufträge der Mutter, wurde für Wolfe mehr und mehr ein ernster Hemmstein. Wolfe war als Schriftsteller darauf angewiesen, zum Zwang der Logik der persönlichen Subjektivismen einen Abstand finden zu können – man könnte sagen, er brauchte die Möglichkeit der Unabhängigkeit, um dem Strom der Wirklichkeit in sich Gestalt zu geben.

 

Um diese Unabhängigkeit in sich hat Wolfe gerungen. Er reiste viel, war phasenweise im Ausland; er schrieb einen Roman über seine Heimatstadt, mit der Folge, daß er dort geächtet war, und sich dort lange nicht mehr sehen lassen konnte. All dies zeigt große Unabhängigkeit – dennoch warf ihm die Literaturkritik vor, er schriebe immer nur über sich selbst.

 

Diese Kritik mag wohl zum Teil gerechtfertigt sein. Sie ist deshalb gerechtfertigt, weil sich in ihr der nicht gelöste Konflikt seiner Lösung von den Müttern spiegelt. Einen Hinweis gibt sein astrologisches Zeitbild. Es zeigt strukturelle Ähnlichkeit mit Heidegger: dies lässt ahnen, es ging hier (bei beiden) um die Darstellung der Übereinkünfte der existenziellen Bestimmungen der Wirklichkeit. Während Heidegger dies wohl auf seine Art gelungen ist, konnte Wolfe großenteils nicht zum objektiven Kern des Seins vordringen. Wir nehmen an, daß dies sein Scheitern ist, und daß sein Werk auch davon kündet, wenn die Welt sich im Ausdruck einer subjektiven Gedanken- und Empfindungswelt erschöpft, oft ohne den schöpferischen Ausdruck neuer Formen zu finden, die für andere verbindlich werden können. Sein Werk bezieht seine Spannung aus dem Anbranden einer veränderlichen Welt an ein beharrendes Empfinden. So besehen wurde sein Ringen um eine Ablösung zum Werk.

 

Dies war es wohl, was ihn auf der letzten Reise bewegte. Er wollte eine unbekannte Heimat entdecken – dies war die existenzielle Bezeichnung für einen eigentlich geistigen Vorgang, der für ihn notwendig war, welcher ihm umfänglich niemals gelingen sollte. Mag sein, daß dies Anfang September 1938, vor seiner Überweisung in Baltimores Johns Hopkins Hospital, klar wurde. Eine Woche später verstarb er.

 

Zwei Jahre zuvor hatter er in einem Brief an seinen Lektor eindringlich seine Vision seines zu erreichenden mentalen Zustands beschriebeni:

 

In this new book, Wolfe wrote, America would not be seen

by a definite personality, but haunted throughout by a consciousness of personality. In other words, I want to assert my divine right once and for all to be the God Almighty of a book--to be at once the spirit to move it, the spirit behind it, never to appear, to blast forever the charge of autobiography while being triumphantly and impersonally autobiographical.

 

  Ein Blick auf Wolfes Zeitbild zeigt

einen Verband, der vom Existentiellen hin zur allgemeinen Darstellung der Vereinbarungen über die Bestimmungen der Wirklichkeit läuft. Wie schon weiter oben beschrieben ist dies eine philosophische Anordnung. Über das existentielle Dasein leiten sich ab allgemeingültige Bestimmungen der Gegenwart.

 

Allgemeingültigkeit in dieser Struktur kann sich nur über das Empfinden äußern. Deshalb ist eine Trennung vom Subjektiven notwendig. Diese ist hier angelegt in der Aspekt-Gruppe: Mond-Mars-Venus. Bildlich gesehen könnte man es als „Übergabe des Kindes an den Krieger zur Vernichtung“ bezeichnen – mit der Folge des Verlusts von Heimat und Geborgenheit. In Wolfes Historie selbst finde ich dieses Bild aber nicht prägnant – man denke etwa an Werner Sauber, der (ähnlich, mit Mars-Mond-Konstellation jedoch als Exposition) als Terrorist (Bewegung 2. Juni) erschossen wurde. Bei dieser Konstellation können wir mutmaßen, hätte er (Sauber) seinen Zorn über die Vertreibung aus der Welt im Hinnehmen zum Schmerz werden lassen, dann hätte sich sein Zeitbild künstlerisch entfaltet, denn er war ein begnadeter Regisseurii.
Nun fragen wir uns bei Wolfe, wo ist diese Vertreibung, wo ist dieser Schmerz? Man kann wohl annehmen, er hat diesen Inhalt literarisch bearbeitet und gestaltet („Es führt kein Weg zurück“), ihn jedoch als eigene Geschichte von seinem Leben ferngehalten. Es mutet so an, daß die Gestalten seiner Romane in seinem Auftrag „unterwegs“ waren, sie mussten Teile seines Lebens übernehmen – genauso wie er im Auftrag der Mütter unterwegs war. Eine verkehrte Welt entstand, bei der keiner seine Bestimmung lebte. Als Entwicklung ist das von öffentlichem Interesse, nicht jedoch als Altersgestalt. Letztlich brauchten er, wie auch die Gestalten seiner Geschichten, alle ihr eigenes Schicksal.

 

Diese verhaltene Vertreibung und deren Zorn waren, weil nicht adäquat erlebt, eine Hypothek, die sich mehr und mehr nur als „Zünder“ (Entzündung) äußern konnte.

 

Es gibt Phasen, in denen Rechenschaft gelegt wird, in denen bestimmt wird, ob und in welcher Form das Dasein als Zeitliches weiter bestehen soll. Wir wissen von Wolfe, daß er an einer „Tuberkulinischen Diathese“ starb. Man kann sagen, es ist dies das Auseinanderfallen von Inhalt und Form, was schließlich zu zerbrechen führt. Wir finden bei Wolfe die Konstellation Merkur-Jupiter-Uranus. Es ist dies das schwerkraftlose Auffliegen der Bilder des Unbewußten zur Anschauung und Darstellung. In diesem Talent klafft eine Lücke (der fehlende Saturn), der von der Mutter besetzt wird – der Junge lebt ihr Leben (ihren Saturn), und solange er sich nicht von ihr löst, werden Inhalt und Form durch und in ihm nicht stimmen. So kommt das Schöpferische nicht durch, es scheitert an der falschen Form (Uranus-Saturn) – letztlich kam es nur noch heraus als ungerichtete Energie in der Materie (als tuberkulinische Meningitis).

 

Bei seinem Tod war astrologisch der Herrscher der Bestimmung aktiviert (s.o. „die Rechenschaft“)
[in Direktion Merkur als Herrscher des MC]. Dieser Herrscher besitzt eine Charakteristik, die die Folgen der Abkapselung von Unvereinbarkeiten bestimmend macht. Man kann daraus schließen, die Trennung von den Müttern war für Wolfe als Lösung zwingend – er wollte dies allerdings nicht verwirklichen.

 

© Daniel Menz

 

Anmerkungen:

 

 

i The Southern Literary Journal 33.1 (2000) 27-41; Resurrecting Thomas Wolfe ;Terry Roberts

ii„Der einsame Wanderer“; Regie: Philip Werner Sauber; abrufbar im Archiv der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) https://dffb-archiv.de/dffb/der-einsame-wanderer