Für die Wiederkehr des Empfindens

 Glauben heißt irren.

 Nicht glauben hilft nichts.

 [Nicolás Gómez Dávila]

 

 Gefühl ist Konsum,

 Empfinden ist „in sich finden“

 und ist expressiv

 [Wolfgang Döbereiner]

 

 

Nach und nach, es scheint gar über die letzten Jahrhunderte, jedoch in technifizierter Welt im Übermaß, verschwand das Empfinden aus der Menschenwirklichkeit, es wurde ersetzt und gleichgesetzt mit Gefühl. Nun wird gesagt: „Ich habe das Gefühl ..“ und „Meinem Empfinden nach ...“ - doch bedeutet nun beides das Gleiche. Jeder, bei dem dies der Fall ist, kann von sich annehmen, er ist in einem gerüttelt Maß Spielball von Emotionen. Wohl gesteuert durch Vernunft, deren Eckpunkte doch ebenfalls von äußeren Mächten vorgegeben werden.

 

Unverändert jedoch – wesentlich zum Sein des Menschen gehörend – eine innere Quelle des nicht-formulierten Wissens, schon dem Säugling zueigen - sie vermag uns zu führen zum rechten Tun und Sein – diese Quelle, genannt Empfinden.

 

Doch das Empfinden ist, und war immer, gefährdet. Man kann seine Gegenwart verdrängen, man kann es ersetzen durch Verstand, Kalkül und Gefühl. In all diesen Fällen wird der Mensch reaktiv, durch äußere Kräfte gesteuert und bewegt. In jedem dieser Fälle verpasst er die Bestimmung seines Seins, er entzieht sich dem Dasein zu einer wachsenden, organischen Welt – und verliert den Zugang zu Erlösung und Befriedung.

 

Schließlich hatte die Nähe des Empfindens zum Gefühl seine „Abschaffung“ und Entwertung befördert. Denn das Gefühl ist durch Vorstellungen erregbar, es ist reaktiv und damit manipulierbar, es ist in keiner Weise ein Garant für Wirklichkeit, um so mehr jedoch erregend, überzeugend oder mitreißend. In seinem Namen gar wurden immer Gräuel vollzogen, von Einzelnen wie von Kollektiven. Hexenverbrennungen, Morde an Nebenbuhlern wie Widersachern; jegliche Formen der verletzten Eitelkeit und Machtbestreben wurden mit Emotionen zum Ausdruck gebracht.

 

Der Rationalismus der Neuzeit hat das Empfinden als akzeptierten Beweggrund im öffentlichen Leben schließlich weitgehend diskreditiert. Es wurde durch das Gefühl ersetzt, das Feeling – ein mächtiges und steuerbares Instrument zur Beherrschung der Gegenwart, auf allen Ebenen, wo es um die Befindlichkeiten des Einzelnen geht.

 

Dabei hat man jedoch das „Kind mit dem Bade ausgeschüttet“. Denn mit dem Verlust der Wirkkraft der Empfindungswelt ist der Mensch, als Funktion in einem System, bloß für äußere Zwecke da – ohne Bestimmung aus sich und damit ohne Bestimmung für die Welt. Das entstehende Vakuum muß nun mit Konsum und stetigem Fortschritt gefüllt werden - ohne Erfüllung und ohne Ende.

 

Eine Gestaltung des Lebens mit Empfinden ist ein hohes Kulturgut – es muß gelehrt, geübt und erkannt werden. Insbesondere die Unterscheidungen zum reaktiven Gefühl und das Verhältnis zur Vorstellung sind dabei bedeutungsvoll.
Ja, man kann sich mit dem Empfinden irren, aber ohne Empfinden hat man keine eigenständige und unabhängige Orientierungsmöglichkeit.

 

Man muß also das Risiko des Irrtums in Kauf nehmen, um mit dem Empfinden ein Dasein zu schaffen, das stimmig ist – stimmig nicht nur für einen selbst, sondern, stimmig auch im Sinne eines organischen Gefüges als Umwelt. So bewegen sich die Welt und die Dinge in ihrem Maß – ganz ohne Verordnungen und Regelungen.

 

Dort zeigt sich auch ein Bezug zur Gesundheit. Ist das Empfinden unterdrückt, entsteht der Drang, selbst eine Funktion in einem System sein zu wollen. In diesem Sinne kann es dann vorkommen, daß man – neben der rein funktionalen Notwendigkeit - tägliche Rituale vollzieht, die einen zum Beispiel mit einer Medikamenteneinnahme die Zugehörigkeit zu einem größeren System vermitteln. Es kann dies ein gewisses Gefühl von Befriedigung - auch Trost - vermitteln, genauso, wie die Aufzeichnung von Körperfunktionen und deren Versenden in eine Cloud.

 

Die Natur fordert von uns, alles menschenmögliche zu tun, um unsere Integrität aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Und doch heiligt der Zweck nicht alle Mittel – es wäre der Sinn, nachdem sich mittels Empfinden zu forschen lohnt. Ein erster Schritt könnte dabei eine wahrhaftige, schonungslose Benennung des eigenen Alltags und Handelns sein – das Empfinden kann dabei sehr genau mitteilen, ob und wo man nicht vielleicht „auf dem Holzweg“ ist.

 

Ohne Empfinden fehlt die Bestimmung aus sich selbst – dies hebt die Eigenständigkeit auf und macht eine Zugehörigkeit zu größeren kollektiven Systemen notwendig, ohne die man nicht mehr lebensfähig ist. Zudem kann man sich selbst noch in gewissem Grade mächtig fühlen, selbst wenn man durch Krankheit behindert und in zunehmendem Maße unfähig wird. Denn man gehört zu einem wirkmächtigen System, welches für einen die Dinge in die Hand nimmt, - zudem bezwingt man die organischen Funktionen, selbst bei ihrem Ausfall, mit Medikamenten, so, daß man oftmals zunächst so weitermachen kann, wie man will.

 

Nun sind es nicht die Fakten allein, die darüber entscheiden, was zweckmäßig ist – es ist der Sinn in allen Dingen. Dieser Sinn ist nicht von vornherein in allem – er muss gesucht und geschaffen werden. Wegweiser und Führer ist das Empfinden.

 

© Daniel Menz